Quod erat demonstrandum: Wo der Mensch Objekt ist

Günter Wallraff auf dem RTL-Spendenmarathon 2014 in Hürth bei Köln.
"Bei CallOn hatte ich eine Kollegin kennengelernt, die von der Arbeitsagentur zu einem Callcenter namens ZIU-International geschickt worden war. Dort, erzählte sie mir, seien ihr Verkaufspraktiken abverlangt worden, die sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnte. Nachdem sie der Arbeitsagentur den Fall unterbreitet hatte, informierte die nicht etwa die Gewerbeaufsicht, sondern bestrafte die Frau mit einer Sperrzeit. Kein Geld, kein Hartz IV, keine Arbeitslosenunterstützung. Sie habe das Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses selbst zu verantworten, hieß es. Man darf keine Skrupel haben im Callcenter. Und mancher kann sich einfach keine Skrupel leisten. " (Günter Wallraff in ZEIT-Magazin vom 22.Mai 2007.)

„Bei CallOn hatte ich eine Kollegin kennengelernt, die von der Arbeitsagentur zu einem Callcenter namens ZIU-International geschickt worden war. Dort, erzählte sie mir, seien ihr Verkaufspraktiken abverlangt worden, die sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnte. Nachdem sie der Arbeitsagentur den Fall unterbreitet hatte, informierte die nicht etwa die Gewerbeaufsicht, sondern bestrafte die Frau mit einer Sperrzeit. Kein Geld, kein Hartz IV, keine Arbeitslosenunterstützung. Sie habe das Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses selbst zu verantworten, hieß es. Man darf keine Skrupel haben im Callcenter. Und mancher kann sich einfach keine Skrupel leisten. “

Günter Wallraff in ZEIT-Magazin vom 22.Mai 2007

Nur ein paar Seiten weiter hinten im Magazin spricht Josef Ackermann in einem Interview von Moral der Wirtschaft – auch wenn die lediglich Instrument ist, sich vor Reputationsverlust zu schützen. Aber es gibt auch eine Moral, so die Konklusion der Journalisten: die Moral des Marktes. Wenn man diesen Begriff unverwunden weit auslegt. Moral: Leistung ist der Einsatz, sozial niveauvolles Leben ist der Lohn. In simplen Syllogismus ausgedrückt: Leistung als Input, Lohn als Output. Arbeitsleistung als Input, Geldleistung als Output. Arbeit leistet u.a. der Mensch, also ist der Mensch Bedingung zu Arbeit. Da Arbeit ein Produktionsfaktor ist, ist dieser Faktor monetär messbar. Der Mensch ist also monetär bemeßbar.

Früher war alles besser. Da war ein Akademiker monetär mehr „wert“ als ein Hauptschüler. Da war sogar ein Abiturient mehr wert als ein Hauptschüler. Da konnte man sich auf die Gesundheit des Zynismus verlassen.

Was uns zum Recht bringt: Behandelt das Recht des Staates den Menschen? Gleich? Gleichheit ist der Primat des Rechts. Für alle Bundesbürger gilt das gleiche Recht (abgesehen von den Landesgesetzen und kommunalen Rechtssätzen). Das heißt, daß z.B. am Erfurter Amtsgericht ein renitenter Schwarzfahrer eine zeitige Freiheitsstrafe von 3 Monaten kassiert, weil er einfach nicht einsichtig ist – so die Staatsanwaltschaft. Drei Monate Gefängnis also, weil der Angeklagte nun schon dreimal die 1,40 Euro für die Straßenbahn nicht gezahlt hat (und die nachfolgenden jeweils 40 EURO Strafgebühren). Und der nimmt es scheinbar gleichgültig: Er würde am liebsten zur Winterzeit in den Knast. Ihm sei ansonsten alles egal.

So etwas erregt beim Zuschauer eine Art emotionale Unterkühlung: Was für ein Asozialer mögen die denken. Nur wegen 1,40 Euro!? Da geht der lieber in den Knast. Das kann man nicht verstehen, nur verurteilen. Für einen Josef Ackermann sind 1,40 EURO kein Geld. Doch auch er wäre 3 Monate in den Bau gegangen, hätte er zu zahlen versäumt. Hätte er das?

Der Staat behandelt über das Recht in seiner majestätischen Gleich-Gültigkeit jeden Bürger als gleich-„gültig“. Zurück zum Callcenter. Die Sperrzeit wegen eines Jobs, den die Arbeitnehmerin moralisch nicht vertreten konnte, ist nach reiner Gesetzeslogik ihre eigene Schuld. Das Gesetz kennt

„Moral“ nicht. Die ist eine metaphysische Sache außerhalb… Und das meint das Gesetz über Sperrzeiten:

§ 144 Abs.1 Nr. 2 SGB III

(1) Hat der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu

haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt vor,

wenn

  1. […]
  2. der bei der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend gemeldete Arbeitnehmer (§37b) oder der Arbeitslose […] eine von der Agentur für Arbeit […] angebotene Beschäftigung nicht annimmt oder nicht antritt oder die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgespräches, durch sein Verhalten verhindert (Sperrzeit bei Arbeitsablehnung).

Im Fall der Callcenter-Mitarbeiterin in spe schien das Gewissen keinen wichtigen Grund im Sinne des Gesetzes darzustellen. Der Mensch als Produktionsfaktor. Quod erat demonstrandum.