Kapitalismus ist nicht als solcher zu verdammen. Er ist – entsprechend alter Lehren und Philosophen vom Zen über Sokrates bis zur Volksweisheit der Mäßigung – als gesunder Wettbewerb zu unserem Fortkommen notwendig. Er schafft freiwilliges Wachstum. In humaner Form schafft er nicht Angst vor der Freiheit, weil man in permanenter Furcht vor Arbeitslosigkeit lebt, sondern er nutzt seinen Gewinn als Gewinn für alle.
Wie steht es mit dem deutschen Artikel 14 Absatz I des Grundgesetzes? Eigentum verpflichtet. Allein die Beachtung dieses Artikels in aktiver Form wäre ein Fortschrittt. Es ist dem deutschen Grundgesetz immanent, daß (Grund)Recht durch oder aufgrund Gesetzes eingeschränkt werden können. Doch in den Siebziger Jahren des letzen Jahrhunderts wurden diese Einschränkungen als liberal verkauft: Der tollwütige Köter des laissez faire Kapitalismus wurde losgelassen.
Wir messen Gesetze restriktiv an unserer Verfassung, anstatt die Verfassung als Verpflichtung zu begreifen. Was persönliche und unternehmerische Freiheit versagt, gilt in einer liberalen Welt als punktueller Angriff und rechtswidrig. Im größeren Zusammenhang sorgt das Zivilrecht seit jeher für größere soziale Spaltung und Sozialgesetze werden zur Makulatur, weil ihre realen Effekte minimal sind. Die Politik verkauft das Tafelsilber – wichtige Unternehmen wie Energieversorger, Schulen, Universitäten sind teilweise schon abgegeben.
Der real existierende Kapitalismus zeigt – wie Vorgänger kontradiktiver Coleur (die eigentlich evolutionstechnisch höherentwickelt sein sollten) – seine Unabgeschlossenheit. Der Sozialismus wurde von außen besiegt. Der Kapitalismus ist ebensowenig ein „rundes System“, da sein freier Markt einerseits die Tatsache nicht in Erwägung zieht, daß sich die Machtpositionen von Vertragspartnern im Laufe der Zeit verschieben. Da hilft auch nicht, daß Recht und Demokratie „Gleichheit“ voraussetzen. Der Unternehmer, welcher anfangs auf Arbeiter angewiesen ist, sie fair bezahlt, wird sich im Laufe der Zeit ob seiner finanziellen Möglichkeiten in einer stärkeren Machtposition befinden als seine Beschäftigten. Jene werden austauschbar, um nicht zu sagen, zu Objekten degradiert.
Zum anderen ist dem laissez faire Kapitalismus die Akkumulation von Kapital zueigen – gerade aus dem vorgenannten Grund: á la, „der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“. Interessant, die auf den ersten Blick perversen Vorgänge der Mikroökonomie: Sie wollen als Normalverbraucher einen Bankkredit unter 8% Zinsen finden? Vergessen sie es. Haben sie ein großes Privatvermögen? Dann können sie aufgrund ihrer Bonität mit 5%, vielleicht sogar weniger rechnen. Aber fühlen sie sich nicht geschmeichelt: Man mag ihr Geld mehr als sie. Sind sie einer von den weniger Betuchten, dann sind sie der Zahler. Derjenige, der alle Schulden begleichen muß. Damit sind letztlich Zinsen gemeint. Zins,das ist der Betrag eines Darlehens der zuerst getilgt werden muß. Würde auf den Darlehensbetrag gezahlt werden, würden sie das Geld zu schnell zurückgezahlt haben. Ihre Verbindlichkeit ist eine wertvolle Forderungsposition für eine Bank: mehr wert als das blanke Geld im Tresor, denn es ist arbeitendes Geld. Eine solche Forderungsposition erhöht die Bonität einer Bank wiederum, welche bei größeren Banken kreditürdig ist. Sie sehen: es geht nur um Aussichten. Diese Art von Kapitalismus blickt nur noch voraus, nicht mehr um sich.
Obgleich die Konservativen unserer Zeit die Vorzeichen erkennen. Es gibt nichts mehr zu holen bei der breiten Masse. Und Geld kann ebensowenig in alle Unendlichkeit gedruckt werden.
Das Rechtssystem funktioniert in einem Belang jedenfalls lückenlos – sogar gegenüber den Staaten die es etabliert und fortgeführt haben: Private Unternehmen haben ein Recht auf Zinsen, wie beispielsweise private Banken auf Zinsen von Gemeinden, Ländern und dem Bund. Und diese Zinsen sind zum Grundübel unseres Daseins geworden.
Die Frage stellt sich viel weniger nach einem kompletten Systemwechsel, als nach einer humanen Form des Kapitalismus. Er ist menschgemacht aber per se nicht menschlich und muß den Regeln der Humanität gehorchen. Ein Beispiel für die pathetisch klingende Aussage: Die Kappung des Privatvermögens auf zwei Millionen Euro. Deutschland wäre auf einen Schlag schuldenfrei. Eine solche Enteignung mag für Aufschrei sorgen und der Absatz 1 des Artikel 14 GG wird zur Verteidigung angeführt werden. Doch kann man angesichts der bedrohlichen Lücke zwischen Arm und Reich nicht auch mit zwei Millionen gut leben?