Schutz von Menschenleben oder des politischen Profils?

Die Corona-Pandemie zeigt tatsächlich auf, dass die Gesundheitssysteme rein kapazitiv offenbar nicht einmal 2 bis 12.7% der Bevölkerung schützen können. Woran liegt das?

Man darf nie Zahlen aufrechnen, wenn es um Menschenleben geht. Diese Vergleiche wurden zunächst verhalten diskutiert. Seit Donald Trumps Tweet ist offensichtlich (und nicht verwunderlich), daß eine offene Spaltung betrieben wird zwischen jenen, welche die allgemeine Gesundheit über wirtschaftliche Produktivität und persönliche Freiheiten stellen.

Dieser Diskussion will sich dieser Artikel nicht hingeben. China reagierte sehr spät auf die Ausbreitung des Corona-Virus und hatte mittels drastischer freiheitsbeschränkender Maßnahmen eine Eindämmung der Epidemie erreicht. Inzwischen war die ganze Welt infiziert. Politische Entscheidungen im Westen waren zunächst von Zurückhaltung geprägt. Es gab keine statistischen Daten zur Bewertung der Situation. Eben solche werden derzeit, wo überwiegend Ausgangssperren und damit generelle Beschränkungen fundamentaler Freiheitsrechte herrschen, gesammelt.

Die Abwägung zwischen Gefahr für Menschenleben gegen verfassungsmäßige Rechte und wirtschaftliche Negativfolgen ist keine einfache. Zynischerweise muß es erstaunen, daß wirtschaftliche Interessen gegenüber Menschenrechten und Menschenleben in solch krasser Form zurücktreten. Wir bewegen uns auf der Oberfläche eines systemischen Problems, daß mehr verbirgt.

Die Corona-Pandemie zeigt tatsächlich auf, dass beispielsweise das italienische Gesundheitssystem rein kapazitiv offenbar nicht einmal 12.7% der Bevölkerung schützen kann. Diese Zahl ist ein gegenwärtiger statistischer Mittelwert für Italiens Todesrate aufgrund Covid-19 . Der Effekt überschießender Innentendenz politischer Lock-Down-Maßnahmen von Regierungen weltweit ist inzwischen faktisch begründet: Es ist nicht die Prozentzahl der Todesrate von Covid-19, sondern das Faktum, daß Menschen sterben, weil Gesundheitssysteme an ihre Kapazitäten stoßen werden.

Italien wurde im letzten Jahrzehnt im Rahmen des europäischen Stabilitätspakts mehr oder minder zu Sparmaßnahmen gezwungen. Einen Teil davon hatte der Gesundheitssektor zu tragen. In Italien schrumpfte laut OECD die Anzahl der Intensiv-Betten von 4.2 pro Tausend Einwohner in 2000 auf 2.6 bis 2017.

Statistic: Number of hospital beds in Italy from 2007 to 2017 | Statista
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Die Bettenauslastung betrug in Deutschland 2014 beispielsweise 79.2%. Es ist nachvollziehbar, daß unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Maximalauslastung maximalen Umsatz gewährleistet. Das Paradigma der Privatisierung ist einsichtig. Damit soll nicht impliziert werden, daß Staaten öffentliche Krankenhausbetten en masse auf Vorrat bereithalten sollten. Pandemien sind nicht unwahrscheinlich, doch permanente Vorbereitung ist ebenso lähmend und kostspielig wie der Eintritt des Ernstfalls.

Allerdings ist die Privatisierung von Gesundheitssystemen aus Gründen finanzpolitischer Stabilität fragwürdig. Die Covid-19 Pandemie zeigt auf, daß „Wohlstand“ der Bevölkerung mehr umfaßt als wirtschaftliches Wachstum.

Was hier auf dem Spiel steht, ist der Wohlstand des italienischen Volkes

Valdis Dombrovskis, Vizepräsident für den Euro und den sozialen Dialog in Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Italiens 2018

Corona ist zum Belastungstest gesellschaftlicher Sozialsysteme geworden. Aufgrund jahrzehntelanger staatlicher Vernachlässigung des Gesundheitssystems durch Privatisierung behelfen Regierungen sich nun mit Einschränkung von Freiheitsrechten. Regierungshandeln ist derzeit von berechtigter Vorsichtigkeit geprägt, die manchen als drastisch freiheitsbeschneidend erscheint. Man kann es auch zynisch formulieren: Die Bevölkerung zahlt den Preis expansiver Wirtschaftspolitik des Wachstums.


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