Es ist ein politisches Urteil. Zwei Berliner, 25 und 28 Jahre alt, wurden gestern zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Sie waren mit bis zu 160km/h durch die Stadt gerast, rammten einen Jeep, welcher dadurch 70 Meter weit geschleudert wurde. Dabei kam der Fahrer um’s Leben. Das Landgericht Berlin entschied, dies sei Mord gewesen.
Das Urteil wird die Jurisprudenz noch eine Weile beschäftigen – und das sollte es auch. Denn zum einen heißt es in den Medien, die Täter hätten den Tod von Unbeteiligten fahrlässig in Kauf genommen. Das genügt für Vorsatz, macht aber noch keinen Mord aus einem Totschlag. Dazu muß zumindest eines der vom § 211 Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) geforderten Mordmerkmale erfüllt sein. Was macht einen Mord demnach aus?
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
Die Anklage klammerte sich an diese Strohhalme: Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen und mit gemeingefährlichen Mitteln. Mit Erfolg – aber wie?
Solange das Urteil noch nicht veröffentlicht ist, kann man über Details nur spekulieren. Hier eine Herleitung.
Niedrige Beweggründe
In Deutschland sind Autorennen keine Straftat, sondern Ordnungswidrigkeiten, welche mit 400 Euro Bußgeld und kurzzeitigem Führerscheinentzug geahndet werden. Sobald ein Mensch zu Schaden kommt, ist erst das Strafgesetzbuch heranzuziehen. Um jemanden, der mit seinem Auto also ordnungswidrige Rennen veranstaltet und dabei einen Menschen tötet gleich zum Mörder zu machen, muß ihm also ein niedriger Beweggrund nachgewiesen worden sein. Wollten die beiden einen Menschen töten als sie das Rennen begannen und durchführten? Und handelt es sich dabei um ein Tatmotiv, „das nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, durch hemmungslose, triebhafte Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich, ja verächtlich ist“?
Auf der Suche nach einem niedrigen Beweggrund eines Auto-Rasers stürzte sich die Anklage auf „Befriedigung hemmungsloser Selbstsucht“. Stellen Sie sich vor, „hemmungslose Selbstsucht“, ein niederer Beweggrund. Wieviele Unternehmensmanager erfüllten plötzlich ein subjektives Mordmerkmal. Dem folgte das Gericht wohl nicht.
Gemeingefährliche Mittel
Insoweit verbleibt lediglich das Merkmal „mit gemeingefährlichen Mitteln“. Ein Pkw als solcher ist nicht gemeingefährlich, solange er sich im Rahmen der Straßenverkehrsordnung bewegt. Mit anderen Worten, auf Autobahnen sind 160km/h keine Gefahr für die Allgemeinheit. Dort erwartet man auch keine hohe Fußgängerdichte. Das Opfer der beiden Raser war jedoch ein Autofahrer; einen Unterschied zwischen Stadtbereich und Autobahn wird nun schwierig. Wenn man erwartet, daß sich auf Autobahnen alle Fahrzeuge mit mindestens 60km/h bewegen, kann ein Auffahren mit 100km/h sehr wohl tödlich enden. Nimmt man auf Autobahnen den Tod eines Verkehrsteilnehmers billigend in Kauf? Oder anders: Ist ein beschleunigtes Auto eine potentielle Mordwaffe – auch ohne die Intention zu töten?
Politisches Urteil
Der Tenor des Urteils folgt jedenfalls der gegenwärtigen politischen Einstellung, wonach der Bundesrat empfahl, Autorennen als Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Er folgt damit einem Vorschlag der SPD aus Nordrhein-Westfalen. Soweit das Ordnungswidrigkeitenrecht ein Autorennen lediglich als „übermäßige Straßenbenutzung“ postuliere und erst bei einer sich konkret verwirklichenden Gefahr zur Straftat werde, genüge das gegenwärtige Recht nicht, um Recht genüge zu tun.
Ist §315c StGB nicht ausreichend? Hiernach genügt die konkrete Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen um bis zu fünf Jahre einzufahren. Der Paragraph bezieht sich eben auf jenen Fall, der hier vorliegt: Gesellt sich Totschlag hinzu, sind fünf Jahre Freiheitsstrafe das Minimum und in besonders schweren Fällen eine lebenslange Freiheitsstrafe möglich. Wozu bemüht man Mordmerkmale des §211 Abs. 2 StGB?
Juristisch wird das Mordmerkmal gemeingefährliches Mittel vom BGH weit ausgelegt. Das Landgericht Berlin sowie der Bundesgerichtshof scheinen der Lehre der sog. Gefährlichkeitskonzeption zu folgen. Danach ist die kriminellen Energie des Täters manchmal ausreichend, um ihn gemeingefährlich zu machen. Das paßt zu Autorasern schwer. Man müßte nun jedem, der gerne auf’s Gas tritt, unterstellen, sie bezögen ihren Kick hauptsächlich daraus, daß Menschen zu Schaden kommen können und werden.
Das Stichwort scheint in diesem Fall Generalprävention. Durch die hohe Strafe soll das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit gestärkt werden. Insoweit ist es nachvollziehbar, wenn populäre Handlungen wie Autofahren auch populäre Konsequenzen haben. Nach einer ADAC Studie haben 83% der deutschen Haushalte ein Auto. Damit herrscht die Gefahr von Verletzung und Tod im Straßenverkehr immer vor. Dessen sollte sich jeder Verkehrsteilnehmer bewußt sein. Das krasse Urteil entspricht aber auch dem gegenwärtigen politischen Aktionismus, der Bevölkerung gegenüber als starker Staat aufzutreten und dadurch die Rolle des Beschützers emotional zu stärken. Derzeit scheint die Lage in Deutschland ohnehin labil. Derartige Initiativen erinnert an die brute-force der Legislative in den USA und nicht an den preußischen Grundsatz Friedrichs des Großen, lieber 10 Straftäter laufen zu lassen als einen Unschuldigen zu hängen.