Zweifel ist wichtig. Zweifel kann aber auch unpraktisch sein. Wenn in einem Kreuzworträtsel die Lösung zur Frage „gewollte Handlung“ als „Tat“ festgelegt ist, kommen mir Zweifel daran. Im Strafrecht ist eine Tat zunächst der objektive Tatbestand, also das, was sich als Fakt ereignet hat. Es ist die Handlung des Täters, welcher Sachen, Werte oder Leben beschädigt oder zerstört. Dazu gesellt sich der subjektive Tatbestand. Das ist die Seite, welche von einem bewußten oder wenigstens einem in-Kauf-nehmenden Willen getragen ist. Wer also beispielsweise einen anderen Menschen mit seinem Auto anfährt und verletzt, kann das fahrlässig, also ohne bewußten Willen getan haben. Er hätte aber auch, zum Beispiel bei Raserei, ahnen müssen, einen solchen Unfall zu verursachen. Dann spricht man von grober Fahrlässigkeit. Die Grade des Willens spielen hier keine Rolle. Dieser kleine Ausflug in das Strafrecht soll verdeutlichen, wohin grundlegende Zweifel führen können. Wäre die Tat immer willentlich, würde jede Straftat vorsätzlich begangen. Das Strafmaß fiele immer maximal aus. Nehme ich die „Tat“ als Lösung im Kreuzworträtsel also hin? Oder denke ich darüber nach und entgegne? Letzteres ist anstrengend und im Kontext eines Kreuzworträtsels und dem Wörtchen „Tat“ scheint Nachdenken müßig, geschweige denn, die Redaktion zu kontaktieren und die Dinge klarzustellen. Wer tut das? Rentner? Arbeitslose? Gelangweilte? Pedanten?
An diesem kleinen Beispiel beginnt etwas, das zu einem größeren Problem der Faktizität und der Konvention untereinander wird. Unsere Sprache muß akkurat sein, sonst entstehen Missverständnisse. ‚Wehret den Anfängen!‘ heißt es so schön. Aber auch bei einem lächerlichen Wort mit drei Buchstaben in einem Kreuzworträtsel einer Regionalzeitung? Im Grunde ja. Wenn der Mensch die Unterscheidung zwischen willentlicher und unwillentlicher Tat nicht treffen kann, weil Tat nach jenem Kreuzworträtsel immer die „willentliche“ Tat meint, verschieben sich Sinngebungen. Das Wörtchen „Tat“ wird überladen und spezifisch. Und weil die Tat uns allen als so fundamental in ihrer Bedeutung geklärt erscheint, so unscheinbar, verwenden wir das Wort weiterhin mit einer entfremdeten Sinngebung. Wir denken von nun an anders. Der fundamentale Begriff „Tat“ wird in unserem Denken immer mit dem Willen des Handelnden verbunden. Immer, wenn wir über Handeln nachdenken, hat es etwas mit Absichtlichkeit tun. Wir — und das steht am Ende einer absurd scheinenden Überlegung — verstehen uns selbst nicht mehr und mißverstehen uns gegenseitig. Sie sehen welchen Aufwand es benötigt an allem zu zweifeln.
Aber wie kann man eine eigene Position vertreten, die aus Teilen wie Wörtern, Sätzen, Urteilen und Gefühlen besteht, wenn man jeden dieser Teile zweifelsfrei geklärt haben sollte? Das kann man nicht. Zu keiner Zeit kann der Mensch eine Aussage über sich oder die Welt treffen, die er zu einhundert Prozent vertreten kann. Sich dessen bewußt zu sein ist alles, was der Zweifel von einem praktischen Menschen verlangt.
Im Grund sollte man sich jedem aufkeimenden Zweifel hingeben, ihn zulassen, um zumindest irgendwann darüber nachdenken zu können. Auch wenn es nur Sekunden sind: Wir sollten es als geistige Reinigung betrachten, deren Resultat nicht in einer aufklärenden Lösung enden muß. Es genügt zu wissen, dass man bestimmte Wörter, Konzepte, Urteile oder „Fakten“ nicht vollends aufgeklärt haben kann. Wenn es daran geht, diese Gedanken „anzuwenden“, ist vielleicht wieder Zeit für Zweifel, Zeit für Bedachtheit. Wichtig dabei ist es, seinen eigenen Urteilen nur soviel Vertrauen zu schenken, dass man mit ihnen leben und sich doch immer wieder eines besseren belehren lassen kann.